Das verschwundene Dorf

15. September 2017  •  Veröffentlicht in Allgemein, Freizeittipps, Links & Literatur

Mitten im tiefsten Fichtenwald ragt ein Kirchturm in den Himmel. Wer sich auf die Suche macht, entdeckt auf einer Lichtung das dazugehörige Kirchlein und ein Schulhaus. Mehr ist nicht geblieben von Leopoldsreut, dem Dorf im Bayerischen Wald an der Grenze zu Tschechien, in dem die Großmutter von Peter Hofer geboren und aufgewachsen ist. Hofer, Theologe, Lehrer und Autor, hat als Kind oft die Ferien bei der Oma verbracht. Seine Beziehung zum Dorf ist noch immer eine ganz besondere, dabei ist der letzte Einwohner vor mehr als 50 Jahren gegangen und längst hat der Wald Besitz genommen von dem was Leopoldsreut war. Peter Hofer hat sich auf Spurensuche begeben und erzählt in seinem Bildband „Leopoldsreut – Das verschwundene Dorf“ von der Geschichte des Ortes und von seinen Menschen. Eine Geschichte, die Leser und Betrachter auf mystische Weise in ihren Bann zieht, mitnimmt in Zeiten, die man sich hier in Deutschland kaum noch vorstellen kann. Es geht um Entbehrung, Armut, Naturgewalten, aber auch um den Zusammenhalt einer Dorfgemeinschaft, Genügsamkeit, um Schmugglertum, Wagemut, Einfallsreichtum und Kampfgeist. Dort, wo es jetzt von Fichten nur so wimmelt, gab es zu Leopoldsreuter Zeiten keinen einzigen Baum, stattdessen standen zwanzig Bauernhäuser auf einem nackten, zugigen Gebirgskamm auf 1100 Meter Höhe.

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Es war eine der unwirtlichsten bewohnten Gegenden Bayerns. In der acht Monate währenden Winterzeit war das Dorf oft wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten. Weder Arzt noch Hebamme konnten vordringen, die Bewohner mussten Tunnel graben durch meterhohe Schneeberge, um ihre Häuser zu verlassen, und das sogar noch im Monat Juni. Das Leben war hart, der Boden karg, vom segensreichen Wirtschaftswunder der 50er Jahre ließ sich nur träumen, fließend Wasser oder Strom gab es bis zuletzt nicht. Viele der 150 Bewohner zogen weg. Diejenigen, die blieben, bestellten nicht mehr ihre Felder, sondern arbeiteten als Waldarbeiter im umliegenden Forst. Dann schließlich verließ auch die letzte Familie Leopoldsreut. Höfe und Wirtshaus wurden abgerissen, die Dorffläche mit Monokulturen aufgeforstet. Geblieben sind Kirche, Schulhaus – und die Erinnerungen. Mit Hilfe von ehemaligen Bewohnern und zahlreichen alten Fotografien ist es Autor Hofer gelungen, das Dorfleben von damals auf berührende Weise lebendig werden zu lassen und Leopoldsreut, der rauen Heimat seiner Großmutter,  mit diesem Buch ein  Denkmal zu setzen.

Übrigens: Die Schule ist verkauft – der Besitzer plant hier für die Zukunft ein Ausflugslokal. Damit Leopoldsreut nie in Vergessenheit gerät, wurde auf der Dorffläche von einst eine Gedenkstätte errichtet mit Geschichtstafeln an den ehemaligen Hausstellen und Plätzen zum Ausruhen und Brotzeitmachen.

Buchtipp der Redaktion: Spannendes und berührendes Thema, tolles Buch, sehr empfehlenswert – nicht nur für Bayern und Historiker!

„Leopoldsreut – Das verschwundene Dorf“
Edition Lichtland, 128 Seiten, 29,7 x 21 cm, Gebundene Ausgabe

ISBN 978-3-942509-35-0
Preis: € 29,90