Ein Wald zum Sterben schön

20. Oktober 2018  •  Veröffentlicht in Allgemein, Reportage

REPORTAGE Klara S.* ist jetzt da, wo sie immer sein wollte. Im Wald, am Fuß einer Buche, glatter Stamm, 25 Meter hoch. Unter alten Bäumen hat Klara schon gesessen, als sie ein Mädchen war. Der Wald war ihr Spielwiese und Schutzraum zugleich. Später kam sie nur noch zu Besuch, als Städterin in Wanderschuhen und Sehnsucht im Herzen. Laubwälder mochte sie am liebsten, mit Bäumen wie diesem. Die Rotbuche am Rand des Waldwegs ist ihre letzte Station. Klara S. hat sie sich selbst ausgesucht, in den Tagen und Wochen, in denen das Nachdenken über den Tod plötzlich allgegenwärtig war. Nachdenken über ihren  Tod. Über das, was danach kommt. Die Diagnose der Ärzte war eindeutig. Klaras Leben, das gestern noch endlos vor ihr lag, war befristet. Ein Jahr noch. Ein Jahr zum Vorbereiten. Und für den Abschied. Sie wusste von FriedWäldern, von RuheForsten und Bestattungswäldern. Einer von ihnen lag ganz in der Nähe ihrer Stadt. Als sie dort ankam, zusammen mit ihrer kleinen Tochter, zum allerersten Mal, wäre sie am liebsten gleich geblieben. Wegen der Ruhe, dem Rauschen der Bäume, dem Geruch nach feuchter, schwerer Erde. Und wegen des Kindes, das sofort losrannte und mit Blättern schmiss und laut lachte und dabei seine Mütze verlor. Ein Förster hat Klara S. das Gelände und die sogenannten Bestattungsbäume gezeigt, erklärt, zugehört, geredet. Unprätentiös, schnörkellos. Vom Kreislauf der Natur. Von kompostierbaren Bio-Urnen und Namenschildern aus Metall am Stamm der Bäume.

Über solche Dinge zu sprechen lernt man nicht an der Universität, wenn es gilt Forstwirt zu werden. Dabei ist gerade die Arbeit im Wald untrennbar verbunden mit der Frage nach Leben und Tod, dem Werden und Vergehen. Pflanzen. Ernten. Hegen. Jagen. In der Natur kann niemand dieser Frage ausweichen, erst recht nicht in einem Bestattungswald. „Wir sind Teil des Naturkreislaufs – wenn wir sterben, erwächst aus unseren Bestandteilen neues Leben!“ sagen die einen. „Blasphemie!“ schimpfen die anderen. Und so mancher katholische Kirchenmann verweigert seinen Schäfchen letztes Geleit und Segen für die Natur als Ort des Abschieds. Axel Horn vom Regionalforstamt Rhein-Sieg-Erft ist seit über zwanzig Jahren Förster. Normalerweise erntet er Holz, pflegt den Wald, pflanzt junge Bäume. Aber seit sich Forstbehörde, Kommune und die Bestattungsfirma „FriedWald GmbH“ 2011 in Lohmar zusammen getan haben, gibt es für Förster Axel Horn ein zusätzliches Arbeitsfeld: Die forstliche Betreuung von 60 Hektar Bestattungswald inmitten seines Reviers. Geschätzte 700  bis 800 Trauerfeiern hat Horn seitdem persönlich begleitet, unzählige Interessierte bei Waldführungen an das Thema herangeführt. Dafür wurde der Revierleiter extra geschult, jetzt ist er trainiert im Umgang mit Interessenten und Angehörigen, weiß, mit Trauer und Trauernden umzugehen. Eine Investition, die sich für alle Beteiligten zu lohnen scheint, denn der Trend zur Waldbestattung ebbt nicht ab, seit 2001 der erste FriedWald in Deutschland entstanden ist. Im Gegenteil: Inzwischen teilen sich immer mehr Betreiber das grüne Geschäft mit dem Tod, in Deutschland gibt es derzeit rund 120 Bestattungswälder, Tendenz steigend. Für viele sind Naturbestattungen eine Alternative geworden zum herkömmlichen Friedhof mit strengen Reglements, christlichen Symbolen und aufwändiger  Grabpflege. Letztere erübrigt sich bei einer Bestattung im Wald, denn für Pflege und Grabschmuck ist ganz allein die Natur zuständig. Und zwar 99 Jahre lang, denn so lange dauert in der Regel die Nutzungszeit, in der die Grabfläche nicht verändert, der Baum nicht gefällt werden darf.

Die Rotbuche, die sich Klara S. ausgesucht hat, ist gesund und wird gepflegt. „Die steht auch noch in 100 Jahren“, hat ihr der Förster versichert. Solche Worte beruhigen. Als sich dreizehn Monate später Familie und Freunde auf einer Lichtung im Wald treffen, um sich von Klara zu verabschieden und ihre Urne an den Wurzeln der Buche in die Erde zu lassen, stehen Pfarrer und Förster mit im Kreis, jeder mit seiner Sicht auf das Leben und den Tod.

„Nur FriedWald – das wäre nichts für mich“, räumt Revierleiter Axel Horn vom Forstrevier Aulgasse in Lohmar ein. “Schließlich bin ich Förster!” Die Arbeit in einem Bestattungswald kann belasten, vor allem weil unter den “Kunden” häufig junge Menschen sind. “Andererseits führt das dazu, mehr über das nachzudenken, was im Leben wichtig ist, und den Augenblick zu leben!” so der 49-Jährige. Regelmäßige Supervisions-Angebote der „FriedWald GmbH“ sollen Horn und seinen Forstkollegen zu professionellem Abstand verhelfen. „Ich bin froh, als Ausgleich meine normale Waldarbeit zu haben!“ stellt Förster Axel Horn fest.  Die „normale“ Arbeit im Wald machen immerhin noch etwa 50 Prozent aus. Donnerstag, Freitag, Samstag sind „FriedWald-Tage“, die restliche Zeit gehört dem Erhalt und der nachhaltigen Bewirtschaftung seines Reviers. Doch auch im Areal des Bestattungswaldes fallen dann und wann Bäume – aus Gründen der Verkehrssicherung oder weil sie den „Bestattungsbäumen“ das Licht nehmen. An Motorsägen und Forstmaschinen kommt man also auch im Lohmarer FriedWald nicht vorbei. Aber so ist das eben selbst in einem Wald, in dem der stehende Baum das Kapital ist, nicht der gefällte Stamm.

Auch in der waldreichen kleinen Gemeinde Hümmel in der Eifel geht es um schwarze Zahlen und einen würdevollen Umgang mit dem Tod, aber vor allem geht es um Klima- und Naturschutz. Gesegnet mit einem uralten Rotbuchen-Bestand, der in Europa seines gleichen sucht und in Fachkreisen als „urwaldnah“ bezeichnet wird, hat man sich hier der ökologischen Forstwirtschaft verschrieben. Seit 1995 setzt der zuständige Förster, Peter Wohlleben, auf Waldarbeiter und Rückepferde statt auf Forstmaschinen, denn das schont Boden und Bäume. Um trotz solch aufwändiger und zeitintensiver Maßnahmen Gewinn zu machen, hat sich die Gemeinde entschieden, ihre Wälder an zwei Bestattungsfirmen, den RuheForst und den Final Forest, zu verpachten – und diese Gebiete unter Totalschutz zu stellen! Für 99 Jahre können Kunden knorrige Eichen, Alt-Buchen oder Flächen zwischen 10 qm und 100 qm pachten und erwerben damit das Recht, sich mit oder ohne Gedenkstein eines ortsansässigen Steinmetzes, auf diesem Fleckchen Erde begraben zu lassen. Für das über Jahrtausende halbwegs ungestört gewachsene Ökosystem mit seinen bis zu 200 Jahre alten Bäumen, ist das eine Art Lebensversicherung, denn ihr Holz würde auf dem Holzmarkt Höchstpreise erzielen, darf nun aber nicht mehr angetastet werden. Die nächsten 100 Jahre sind die Hümmeler Bäume jedenfalls sicher.

Klara S. hat sich ihren letzten Ruheplatz mit Bedacht ausgewählt. Unbequem mag das für die Hinterbliebenen sein. Die Anfahrt zum Bestattungswald dauert lange, wenn man in der Stadt wohnt. Der Fußmarsch zu ihrer Grabstätte unter der Buche am Ende des Weges erfordert Ausdauer und ist für ihre alten Eltern nur mit Hilfe zu meistern. Ein Toilettenwagen steht am Parkplatz, doch Bänke zum Ausruhen gibt es fast keine. Wer verweilen möchte, sucht sich einen Baumstamm. Und doch ist die Familie zufrieden mit ihrer Wahl. Denn das Kinderlachen, die Freude, mit der Klaras Tochter zusammen mit Oma und Opa zum Grab unter der Buche spaziert, durch den Wald stromert und den Vögeln zuhört, dringt bis ganz nach oben, in die Spitzen der Baumkrone, und noch höher.

* Name von der Red. geändert

Soviel kostet ein Platz im Bestattungswald:

Die Kosten für eine Beisetzung in einem der Bestattungswälder variieren von Ort zu Ort, Wald zu Wald und von Baum zu Baum. Als günstigste Variante gilt ein sogenannter Basisplatz. Hier finden unter einem Baum bis zu zehn Personen ihre letzte Ruhestätte - für 15-30 Jahre statt 99 Jahre (verkürzte Ruhezeit). Kosten: 490 Euro plus ca. 300 Euro für Urne und Beisetzung. Die meisten Bestattungswälder bieten unter einem Baum nach Wahl Platz für jeweils zehn Einzelpersonen bzw. Urnen an. Ein Einzelplatz kostet zwischen 700 Euro und 1.500 Euro, es gibt aber auch Familien- oder Freundschaftsbäume mit bis zu zehn Beisetzungsmöglichkeiten zu Preisen zwischen 3.500 Euro und 6.500 Euro pro Baum. Hinzu kommen die Kosten für Urne und Beisetzung in Höhe von mindestens 300 Euro plus eventueller Überführungskosten und Extras. Die Trauerfeier wird individuell nach eigenen Vorstellungen gestaltet und organisiert und darf groß sein, klein, laut, leise, pompös, bescheiden, mit oder ohne Pfarrer, Trauerredner und Kapelle.

www.friedwald.de
www.ruheforst-huemmel.de
www.ruheforst-deutschland.de
www.finalforest.de