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REPORTAGE Klara S.* ist jetzt da, wo sie immer sein wollte. Im Wald, am Fuß einer Buche, glatter Stamm, 25 Meter hoch. Unter alten Bäumen hat Klara schon gesessen, als sie ein Mädchen war. Der Wald war ihr Spielwiese und Schutzraum zugleich. Später kam sie nur noch zu Besuch, als Städterin in Wanderschuhen und Sehnsucht im Herzen. Laubwälder mochte sie am liebsten, mit Bäumen wie diesem. Die Rotbuche am Rand des Waldwegs ist ihre letzte Station. Klara S. hat sie sich selbst ausgesucht, in den Tagen und Wochen, in denen das Nachdenken über den Tod plötzlich allgegenwärtig war. Nachdenken über ihren  Tod. Über das, was danach kommt. Die Diagnose der Ärzte war eindeutig. Klaras Leben, das gestern noch endlos vor ihr lag, war befristet. Ein Jahr noch. Ein Jahr zum Vorbereiten. Und für den Abschied. Sie wusste von FriedWäldern, von RuheForsten und Bestattungswäldern. Einer von ihnen lag ganz in der Nähe ihrer Stadt. Als sie dort ankam, zusammen mit ihrer kleinen Tochter, zum allerersten Mal, wäre sie am liebsten gleich geblieben. Wegen der Ruhe, dem Rauschen der Bäume, dem Geruch nach feuchter, schwerer Erde. Und wegen des Kindes, das sofort losrannte und mit Blättern schmiss und laut lachte und dabei seine Mütze verlor. Ein Förster hat Klara S. das Gelände und die sogenannten Bestattungsbäume gezeigt, erklärt, zugehört, geredet. Unprätentiös, schnörkellos. Vom Kreislauf der Natur. Von kompostierbaren Bio-Urnen und Namenschildern aus Metall am Stamm der Bäume.

Über solche Dinge zu sprechen lernt man nicht an der Universität, wenn es gilt Forstwirt zu werden. Dabei ist gerade die Arbeit im Wald untrennbar verbunden mit der Frage nach Leben und Tod, dem Werden und Vergehen. Pflanzen. Ernten. Hegen. Jagen. In der Natur kann niemand dieser Frage ausweichen, erst recht nicht in einem Bestattungswald. „Wir sind Teil des Naturkreislaufs – wenn wir sterben, erwächst aus unseren Bestandteilen neues Leben!“ sagen die einen. „Blasphemie!“ schimpfen die anderen. Und so mancher katholische Kirchenmann verweigert seinen Schäfchen letztes Geleit und Segen für die Natur als Ort des Abschieds. Axel Horn vom Regionalforstamt Rhein-Sieg-Erft ist seit über zwanzig Jahren Förster. Normalerweise erntet er Holz, pflegt den Wald, pflanzt junge Bäume. Aber seit sich Forstbehörde, Kommune und die Bestattungsfirma „FriedWald GmbH“ 2011 in Lohmar zusammen getan haben, gibt es für Förster Axel Horn ein zusätzliches Arbeitsfeld: Die forstliche Betreuung von 60 Hektar Bestattungswald inmitten seines Reviers. Geschätzte 700  bis 800 Trauerfeiern hat Horn seitdem persönlich begleitet, unzählige Interessierte bei Waldführungen an das Thema herangeführt. Dafür wurde der Revierleiter extra geschult, jetzt ist er trainiert im Umgang mit Interessenten und Angehörigen, weiß, mit Trauer und Trauernden umzugehen. Eine Investition, die sich für alle Beteiligten zu lohnen scheint, denn der Trend zur Waldbestattung ebbt nicht ab, seit 2001 der erste FriedWald in Deutschland entstanden ist. Im Gegenteil: Inzwischen teilen sich immer mehr Betreiber das grüne Geschäft mit dem Tod, in Deutschland gibt es derzeit rund 120 Bestattungswälder, Tendenz steigend. Für viele sind Naturbestattungen eine Alternative geworden zum herkömmlichen Friedhof mit strengen Reglements, christlichen Symbolen und aufwändiger  Grabpflege. Letztere erübrigt sich bei einer Bestattung im Wald, denn für Pflege und Grabschmuck ist ganz allein die Natur zuständig. Und zwar 99 Jahre lang, denn so lange dauert in der Regel die Nutzungszeit, in der die Grabfläche nicht verändert, der Baum nicht gefällt werden darf.

Die Rotbuche, die sich Klara S. ausgesucht hat, ist gesund und wird gepflegt. „Die steht auch noch in 100 Jahren“, hat ihr der Förster versichert. Solche Worte beruhigen. Als sich dreizehn Monate später Familie und Freunde auf einer Lichtung im Wald treffen, um sich von Klara zu verabschieden und ihre Urne an den Wurzeln der Buche in die Erde zu lassen, stehen Pfarrer und Förster mit im Kreis, jeder mit seiner Sicht auf das Leben und den Tod.

„Nur FriedWald – das wäre nichts für mich“, räumt Revierleiter Axel Horn vom Forstrevier Aulgasse in Lohmar ein. „Schließlich bin ich Förster!“ Die Arbeit in einem Bestattungswald kann belasten, vor allem weil unter den „Kunden“ häufig junge Menschen sind. „Andererseits führt das dazu, mehr über das nachzudenken, was im Leben wichtig ist, und den Augenblick zu leben!“ so der 49-Jährige. Regelmäßige Supervisions-Angebote der „FriedWald GmbH“ sollen Horn und seinen Forstkollegen zu professionellem Abstand verhelfen. „Ich bin froh, als Ausgleich meine normale Waldarbeit zu haben!“ stellt Förster Axel Horn fest.  Die „normale“ Arbeit im Wald machen immerhin noch etwa 50 Prozent aus. Donnerstag, Freitag, Samstag sind „FriedWald-Tage“, die restliche Zeit gehört dem Erhalt und der nachhaltigen Bewirtschaftung seines Reviers. Doch auch im Areal des Bestattungswaldes fallen dann und wann Bäume – aus Gründen der Verkehrssicherung oder weil sie den „Bestattungsbäumen“ das Licht nehmen. An Motorsägen und Forstmaschinen kommt man also auch im Lohmarer FriedWald nicht vorbei. Aber so ist das eben selbst in einem Wald, in dem der stehende Baum das Kapital ist, nicht der gefällte Stamm.

Auch in der waldreichen kleinen Gemeinde Hümmel in der Eifel geht es um schwarze Zahlen und einen würdevollen Umgang mit dem Tod, aber vor allem geht es um Klima- und Naturschutz. Gesegnet mit einem uralten Rotbuchen-Bestand, der in Europa seines gleichen sucht und in Fachkreisen als „urwaldnah“ bezeichnet wird, hat man sich hier der ökologischen Forstwirtschaft verschrieben. Seit 1995 setzt der zuständige Förster, Peter Wohlleben, auf Waldarbeiter und Rückepferde statt auf Forstmaschinen, denn das schont Boden und Bäume. Um trotz solch aufwändiger und zeitintensiver Maßnahmen Gewinn zu machen, hat sich die Gemeinde entschieden, ihre Wälder an zwei Bestattungsfirmen, den RuheForst und den Final Forest, zu verpachten – und diese Gebiete unter Totalschutz zu stellen! Für 99 Jahre können Kunden knorrige Eichen, Alt-Buchen oder Flächen zwischen 10 qm und 100 qm pachten und erwerben damit das Recht, sich mit oder ohne Gedenkstein eines ortsansässigen Steinmetzes, auf diesem Fleckchen Erde begraben zu lassen. Für das über Jahrtausende halbwegs ungestört gewachsene Ökosystem mit seinen bis zu 200 Jahre alten Bäumen, ist das eine Art Lebensversicherung, denn ihr Holz würde auf dem Holzmarkt Höchstpreise erzielen, darf nun aber nicht mehr angetastet werden. Die nächsten 100 Jahre sind die Hümmeler Bäume jedenfalls sicher.

Klara S. hat sich ihren letzten Ruheplatz mit Bedacht ausgewählt. Unbequem mag das für die Hinterbliebenen sein. Die Anfahrt zum Bestattungswald dauert lange, wenn man in der Stadt wohnt. Der Fußmarsch zu ihrer Grabstätte unter der Buche am Ende des Weges erfordert Ausdauer und ist für ihre alten Eltern nur mit Hilfe zu meistern. Ein Toilettenwagen steht am Parkplatz, doch Bänke zum Ausruhen gibt es fast keine. Wer verweilen möchte, sucht sich einen Baumstamm. Und doch ist die Familie zufrieden mit ihrer Wahl. Denn das Kinderlachen, die Freude, mit der Klaras Tochter zusammen mit Oma und Opa zum Grab unter der Buche spaziert, durch den Wald stromert und den Vögeln zuhört, dringt bis ganz nach oben, in die Spitzen der Baumkrone, und noch höher.

* Name von der Red. geändert

Soviel kostet ein Platz im Bestattungswald:

Die Kosten für eine Beisetzung in einem der Bestattungswälder variieren von Ort zu Ort, Wald zu Wald und von Baum zu Baum. Als günstigste Variante gilt ein sogenannter Basisplatz. Hier finden unter einem Baum bis zu zehn Personen ihre letzte Ruhestätte – für 15-30 Jahre statt 99 Jahre (verkürzte Ruhezeit). Kosten: 490 Euro plus ca. 300 Euro für Urne und Beisetzung. Die meisten Bestattungswälder bieten unter einem Baum nach Wahl Platz für jeweils zehn Einzelpersonen bzw. Urnen an. Ein Einzelplatz kostet zwischen 700 Euro und 1.500 Euro, es gibt aber auch Familien- oder Freundschaftsbäume mit bis zu zehn Beisetzungsmöglichkeiten zu Preisen zwischen 3.500 Euro und 6.500 Euro pro Baum. Hinzu kommen die Kosten für Urne und Beisetzung in Höhe von mindestens 300 Euro plus eventueller Überführungskosten und Extras. Die Trauerfeier wird individuell nach eigenen Vorstellungen gestaltet und organisiert und darf groß sein, klein, laut, leise, pompös, bescheiden, mit oder ohne Pfarrer, Trauerredner und Kapelle.

www.friedwald.de
www.ruheforst-huemmel.de
www.ruheforst-deutschland.de
www.finalforest.de

INTERVIEW Drei Stunden mit zwölf Kindern an der frischen Luft, Kindergeburtstag im Stadtwald von Hilden. Waldpädagogin Astrid Walker aus Mettmann merkt man nicht an, dass sie den ganzen Nachmittag mit einer wilden Horde Achtjähriger durch den Wald gestromert ist. Zufrieden sieht sie aus, als sie sich fürs Interview neben mich auf den Baumstamm setzt und das Gesicht der Frühlingssonne entgegen streckt. Bevor es losgeht, wird noch schnell ein Glas mit Honig von den eigenen Bienen und selbstgemachte Quittenmarmelade aus dem Rucksack geholt, Butter,  Brötchen, dazu gibt’s einen Becher mit heißem Tee und entspannte Antworten.

Kontakt: http://www.naturerfahrungs-angebote.de

Steckbrief: Zertifizierte Waldpädagogin – Dipl. Ing. Landespflege – Gärtnerin  – Imkerin – Jahrgang 1964 – verheiratet – lebt mit ihrer Familie in Mettmann bei Düsseldorf“]


Frau Walker, Sie sind Waldpädagogin – wie fühlen Sie sich eigentlich, wenn Sie längere Zeit drinnen sein müssen?

Na ja, ein Bürojob, bei dem ich 10 Stunden am Stück am Schreibtisch sitzen müsste, wäre nichts für mich. (schüttelt sich)

Ihr Arbeitsplatz ist der Wald. Wer sind Ihre Kunden?

Geburtstagskinder. Unter-Dreijährige mit den jeweiligen Eltern. Kindergarten-Gruppen. Schulkinder bis sechste Klasse. Kinder, die älter sind als 12 Jahre, gehen freiwillig nicht mehr in den Wald, die finden das uncool. Aber gerade bis zu dem Alter kann man viel machen mit den Kindern. Außerdem biete ich Waldprojekte an für Senioren, Senioren mit Behinderungen oder für junge Leute mit Behinderungen. Ich arbeite auch regelmäßig mit geistig behinderten Menschen zusammen. Da ist besonders viel Flexibilität gefragt. Wenn ich z.B. was über den Frosch machen will, jemand aber einen Regenwurm findet, sind wir erst mal ganz lange mit dem Regenwurm beschäftigt.

Was bekomme ich, wenn ich eine Veranstaltung bei Ihnen buche?

Auf jeden Fall mehr als eine reine Bespaßung! Es geht mir um die Förderung wertvoller Kompetenzen im Sinne von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), um soziale Kompetenzen wie Empathie oder Teamfähigkeit. Es geht mir aber auch um Sprachkompetenz, d.h. ich achte darauf, dass wir immer alles benennen. Gefördert werden natürlich motorische Fähigkeiten, Rennen über unebenen Boden, Springen, Klettern. Viele Kinder merken im Wald zum ersten Mal, dass es Sinn macht, beim Laufen die Hände aus den Hosentaschen nehmen… Die einfachsten Sachen eigentlich. Oder wir stellen aus wenigen Mitteln selbst etwas her: Schwerter für die Jungs, zum Beispiel. Nach dem Motto:  Falls nichts mehr geht, kein Handy oder so, kann ich theoretisch auch mal was selber machen! (lacht) Die Fähigkeiten, die man im Wald anwendet, kann man meistens auf den Alltag übertragen. Zum Beispiel muss man beim Bogenbasteln einen Knoten können. Können viele Kinder aber nicht, das geht bis hin zur vierten Klasse. Außerdem will ich das Forschertum und Entdeckertum, das in jedem Kind steckt, fördern. Nachgucken, untersuchen, sich wundern, sich freuen.. Darum geht’s! Manche Kinder sind so froh, dass sie sagen: Ich möchte mein Leben lang im Wald bleiben, ich möchte nie wieder damit aufhören!

Wie gehen Sie vor, um diese Begeisterung zu entfachen? Wie planen Sie Ihre waldpädagogischen Projekte?

Eine Veranstaltung im Wald sollte immer teilnehmerorientiert aufgebaut sein. Man muss sich vorher genau überlegen: Was möchten die Menschen in diesem Alter und mit jenem Hintergrund im Wald erleben? Die einen wollen gemeinsam gesellig sein, die anderen wollen etwas lernen. Eine Schulklasse z.B. hat das Ziel, ein paar Baumarten kennen zu lernen und zu erfahren, wie ein Wald entsteht. Über das Erleben kann man ihnen das toll vermitteln. So, dass sie’s fast gar nicht merken. Natürlich sollte eine Veranstaltung immer einen vernünftigen Aufbau haben, mit einem Höhepunkt  in der Mitte und einem gemeinsamen Chill-Out am Ende, wo man zusammen was isst oder spielt. Und zwischendurch immer wieder reflektieren lassen: Was haben wir denn überhaupt gemacht? Damit sich das Gelernte auch festsetzt. Das schafft man im Tagesgeschehen natürlich echt selten, aber ich versuche es.

Da kommt sicher auch schon mal Zeitdruck auf – im Wald ist das eher kontraproduktiv, oder?

Stimmt. Veranstaltungen, die kürzer sind als zwei Stunden, machen daher auch keinen Sinn. Gerade Kinder müssen den Wald ja erst mal in sich aufnehmen dürfen, ihn genießen dürfen. Und das dauert schon mal. Wichtig ist es, Ruhe zu vermitteln, keine Hektik zu verbreiten. Wald ist gleich Ruheraum! Meine Aufgabe ist es, den Teilnehmern Zugänge zu öffnen und zu zeigen, wie sie diese Erfahrung für sich nutzen können. Die Kinder werden das so nicht merken, aber sie bekommen spielerisch einen neuen Zugang. Bei Erwachsenen kann man das auch schon mal bewusst machen, sie auffordern, sich an den Baum zu lehnen und dann einfach mal ruhig zu sein.

Wie haben Sie zu Ihrem eigenen Stil gefunden?

Ich wollte auf keinen Fall reine Waldführungen machen. Ich habe für mich entdeckt, dass es so viele Ort gibt im Wald, wo man sich einfach mal aufhalten kann, ein Waldbasislager schaffen kann, sozusagen. Ich lasse die Kinder oft erst mal loslaufen, spielen und sehe dann, was sich anbietet. Das ist das Schönste an der Waldpädagogik, finde ich, dass man beobachten kann! Und dann sieht man viele Zapfen rumliegen im Herbst und sagt sich: Jetzt mache ich was mit den Zapfen. Oder z.B. hier, wo wir beide uns gerade niedergelassen haben, hier ist ja ein so schöner Ort, wo man die Vogelstimmen gut hören kann. Hier würde ich spontan was machen über die Vögel, die jetzt gerade hier sind. Mein Stil ist, das Spontane, das sich zufällig über die Waldorte ergibt, auszubauen! Ich habe zwar mein Rahmenprogramm, aber variiere innerhalb des Programms, je nachdem wie die Teilnehmer drauf sind. Auch die einzelnen Methoden muss ich immer wieder neu erspüren.

Was muss eine Waldpädagogin an Persönlichkeit mitbringen?

Voraussetzung ist, dass man selber gern in der Natur ist! Außerdem müssen Waldpädagogen einen Zugang zu Menschen haben und empathisch sein. Auf die Teilnehmer eingehen können, das ist wichtig!

Sie selbst haben sich gleich nach dem Abitur für eine Ausbildung an der frischen Luft entschieden..

Genau, ich habe eine dreijährige Ausbildung zur Gärtnerin gemacht und anschließend in Essen Landespflege studiert. Mein Interesse galt schon immer dem Grünen Bereich, der Natur.

Grüner Bereich hieß für Sie damals aber noch nicht „Wald“, oder?

Nee, Wald hat mich zwar immer interessiert, aber richtig wohl gefühlt habe ich mich früher dort nicht. Ich wollte eher aufs Feld, habe offene Landschaften gemocht. Im Wald hab ich mich immer etwas bedroht gefühlt, das war ein unheimlicher Ort.

Wald war Ihnen unheimlich – wie kommt das denn?

Wegen der Märchen! Ich habe unheimlich viel gelesen – Märchen, Mythen, griechische Sagen. Das hat mein Bild vom Wald geprägt. Später dann kam Literatur von Hermann Hesse dazu mit Themen: Auf Wanderschaft gehen, In der Gegend herum streifen.. – und ab da wurde mein Verhältnis zum Wald entspannter.  Trotzdem war mir das Querfeldeinlaufen früher lieber!

Wie ist aus der Landschaftsplanerin und Naturliebhaberin dann trotzdem eine vielgebuchte Waldpädagogin geworden?

Nach dem Studium habe ich für den Unternehmensverband „Garten- und Landschaftsbau“ auf Gartenschauen Angebote für Schüler wie das „Grüne Klassenzimmer“ begleitet und dabei festgestellt, dass es mir Spaß macht, mit Menschen zu tun zu haben. 2007 habe ich dann zufällig einen Waldpädagogen kennen gelernt, der quasi mein Mentor wurde. Bei ihm habe ich zwei Jahre lang alles Mögliche gelernt über Waldökologie und Wildtierkunde.  Den Rest habe ich mir autodidaktisch beigebracht und sämtliche Fachliteratur, die es im Bereich Waldpädagogik gibt, gelesen. Seit 2009 arbeite ich als freiberufliche Waldpädagogin.

Sie haben sich in den letzten Jahren regelmäßig weitergebildet und dürfen sich seit 2013 „Zertifizierte Waldpädagogin“ nennen. Was bedeutet diese Qualifikation für Sie und Ihre Arbeit?

Diese Zertifizierung ist bundesweit anerkannt und hat daher einigen Wert. Vorausgegangen ist eine mehrmonatige Ausbildung des Landesbetriebes Wald und Holz Nordrhein-Westfalen und der NUA (Natur- und Umweltakademie Nordrhein-Westfalen) in Arnsberg. Die Teilnehmergruppe bestand aus Förstern, Pädagogen und Ehrenamtlichen aus dem Bereich Umweltarbeit, das war eine sehr befruchtende Zusammensetzung. Für mich war vor allem der dort vermittelte pädagogische Unterbau sehr wertvoll. Ich arbeite jetzt deutlich strukturierter und verfasse z.B. vor jeder Veranstaltung einen genauen Ablaufplan mit  Uhrzeit, Treffpunkt, Ziel, Aktion, pädagogischem Ziel, Methode, Material. Das hilft mir, mein Programm zu reflektieren und zeigt natürlich auch Professionalität, wenn ich das an die Kunden schicke. Gelernt habe ich in dem Lehrgang auch viel über Gefahren im Wald. Und über die Rechtslage: Was darf ich im Wald, was nicht? Wo darf ich mich überhaupt aufhalten?

Stichwort „Gefahren“! Wovor muss man sich denn im deutschen Wald in Acht nehmen?

Da gibt es einiges. Giftpflanzen. Totholz.  Holzpolter. Schneefälle. Gewitter. Sturm. Und so weiter. Früher fand ich zum Beispiel Holzpolter (Anm.: Polter sind über- oder nebeneinander gestapelte Baumstämme)  auch immer lustig zum Drauf-Rumklettern und Balancieren, dabei ist das lebensgefährlich und absolut verboten. Aufgrund meiner Ausbildung kann ich Gefahren einschätzen und entsprechend vorsorgen. Für alle Fälle habe ich natürlich immer ein aufgeladenes Handy und eine Erste-Hilfe-Tasche dabei – und absolviere regelmäßig ein Erste-Hilfe-Training.

Viele Waldgebiete, die Sie waldpädagogisch nutzen, sind beliebt bei Hundebesitzern – und die lassen ihre Vierbeiner gerne von der Leine. Wie problematisch ist das für Sie und Ihre Gruppen?

Das ist schon ein großes Thema, obwohl ich da inzwischen gelassener geworden bin. Es passiert ständig, dass irgendein Hund auf uns zugeschossen kommt und damit für Panik bei den Kindern sorgt. Da nützt es auch nichts, wenn die Besitzer uns dann zurufen „Der tut nichts, der will nur spielen!“. Gerade für kleine Kinder ist das sehr beängstigend und ich selbst stand der Situation immer hilflos gegenüber. Irgendwann war ich es leid, jedes Mal zu warten, bis der Hundebesitzer sein Tier zurück geholt hat und wir weiter machen konnten, also habe ich mich an einen professionellen Hundetrainer gewandt und mir Tipps geben lassen. Ich weiß jetzt z.B., dass es immer dieselben Hunderassen sind, die nur deshalb ankommen, weil sie so verfressen sind. Also habe ich nun immer Hundekuchen dabei und führe sie damit am Halsband zurück zu ihrem Herrchen. Ich warte also nicht mehr länger, bis der Hundebesitzer agiert und seine Leine holt, sondern tue selbst was.

Was nervt im Wald außerdem?

Es stört, dass viele Begleitpersonen die ganze Zeit mit dem Handy beschäftigt sind, anstatt mal in der Realität zu verweilen und einfach zu schauen. Dauernd wird fotografiert, obwohl man das ja jetzt auch mal genießen könnte, was die Kinder da  gerade machen. Die meisten Eltern sind aber zum Glück ganz entspannt und zugänglich.

Was macht eine Waldpädagogin eigentlich im Winter?

Da ist es ruhig – wie bei allen, die Umweltbildung anbieten. Obwohl ich mir auch für die Winterzeit  schöne Angebote ausdenke – die werden einfach nicht so gerne angenommen! Kindergeburtstage laufen aber eigentlich immer und Veranstaltungen im Rahmen der Ganztagsbetreuung in den Schulen auch. Die restliche Zeit verbringe ich mit Vor- und Nachbereitungen von Veranstaltungen und dem Erstellen von neuen Angeboten.

Sie haben zwei Söhne im Teenager-Alter – sind die beiden so waldbegeistert wie Sie?

Unsere Familie ist viel draußen, wir reden zuhause dauernd über Natur, und mein Mann und ich haben ja auch noch die Imkerei und eine Streuobstwiese, die wir pflegen. Unsere Söhne sind jetzt allerdings in einem Alter, wo das alles sie nicht mehr sonderlich interessiert und sie nicht mehr klaglos überall  mit hin kommen. Ob die beiden zu Naturfans geworden sind, kann ich im Moment nicht einordnen.

Ich wette, der Grundstein dafür ist gelegt – nicht nur bei Ihren Söhnen, sondern ebenso bei den Kindern, die mit Ihnen zusammen Abenteuer im Wald erlebt haben! Viel Glück weiterhin bei Ihrer Arbeit in der Natur und danke für das Gespräch!

Waldpädagogische Einsatzbereiche
Hier geht Astrid Walker mit Ihnen in den Wald: Kreis Mettmann bis Hilden und Langenfeld, Mettmann, Solingen, Ratingen, Düsseldorf bis Meerbusch. In Ausnahmefällen auch bis zur Grenze von Wuppertal, Neuss, Leverkusen.

Kontakt:  http://www.naturerfahrungs-angebote.de

Umgestürzte Bäume, zugewachsene Pfade, morastige Tümpel, tiefes Dickicht – so „verwildert“ sieht man den deutschen Wald selten. Doch jetzt ist die Gelegenheit günstig, denn das nordrhein-westfälische Umweltministerium und der Landesbetrieb Wald und Holz NRW bieten bis in den Herbst hinein Wildniswanderungen an: Mit Försterinnen und Förstern auf Entdeckungstour durch die Wildnisgebiete Nordrhein-Westfalens! Okay, an Expeditionen in ferne Urwälder haftet per se der Geruch von Abenteuer; hier in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, ist es vielleicht eher ein Hauch.. Echte Urwälder, von Menschenhand gänzlich unberührt, gibt es in Deutschland nun mal nicht mehr. Wildnis hingegen schon. Seit 2009 hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen rund hundert Gebiete ausgewiesen, die sich im Laufe der Jahrzehnte zu Urwäldern von morgen entwickeln sollen, Eichen- und Buchenbestände zwischen 120 und 160 Jahre alt. In den Wildnisgebieten gibt es keinerlei forstliche Nutzung. Bäume werden nicht gefällt und entnommen, sondern bleiben bis zu ihrem natürlichen Lebensende – und darüber hinaus. Denn gerade die letzte Lebensphase, die Alters- und Zerfallphase, ist ökologisch besonders wertvoll für Bestand und Entwicklung der Artenvielfalt. Die Zahlen derweil sind alarmierend, denn auch in Nordrhein-Westfalen schreitet das Artensterben dramatisch  voran: Etwa 45 Prozent der hier beobachteten Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben.

Wildnis – Menschen stören hier nur!

In NRW gibt es 300 Wildniswälder, die zusammengefasst 100 Wildnisgebiete ergeben. Das ergibt eine Fläche von 7800 ha; ein Hektar ist etwas größer als ein Fußballfeld! Man lässt diese Gebiete gezielt verwildern, damit sich – von Menschen ungestört – neue Tier- und Pflanzenarten ansiedeln können. Betreten darf man die Wildnisgebiete übrigens; häufig liegen sie aber in Naturschutzgebieten, in denen das Betreten abseits der Wege verboten ist! Bisher gehörten die Wildnisgebiete ausschließlich zum Staatswald, doch jetzt hat der erste Privatwaldbesitzer ein Zeichen gesetzt und seinen Wald in Größe von 500 Fußballfeldern als Wildnisgebiet zur Verfügung gestellt. Da zwei Drittel der nordrheinwestfälischen Wälder in privater Hand sind, ist auf generöse Nachahmer zu hoffen. Übrigens: während NRW momentan rund zehn Prozent (zusammengesetzt aus 100 Wildnisgebieten plus 70 Naturwaldzellen) des Staatswaldes verwildern lässt, ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, bis 2020 fünf Prozent der Waldfläche Deutschlands in Wildnisgebiete umzuwandeln.

Wildniswanderungen in Nordrhein-Westfalen –  Termine 2014:

Die Wanderungen sind kostenlos. Es bedarf keiner besonderen Fitness, festes Schuhwerk ist empfehlenswert. Keine Anmeldung erforderlich! Zeitrahmen: 10-12.30 Uhr

wildnis nrw

Datum Wildnisgebiet Treffpunkt
04.05. 01.06. Wesel/Dämmerwald Kottenforst Schermbeck, Wanderparkplatz am Dämmerwald Röttgen, Parkplatz Jägerhäuschen an der L 261
05.06. Arnsberger Wald Arnsberg, Parkplatz am Jugenwaldheim Obereimer
22.06. Einsiedelei Lennestadt, Parkplatz an der Burg Bilstein
29.06. Egge Bad Lippspringe, Naturschutzzentrum Steinbeke
09.07. Rothaarkamm Hilchenbach, Bahnhof Vormwald
17.08. Siebengebirge Königswinter -Ittenbach, Parkplatz Kohlstraße
24.08. Schanze Schmallenberg, Parkplatz Schanze
31.08. Buchenwälder auf dem Leuscheid Eitorf, Parkplatz an der L86 bei Schiedsbach
07.09. Heisterholz Minden, Parkplatz an der B 61, Abzweig Graßhoffstraße
14.09. Hürtgenwald/Gürzenicher Bruch Düren-Langerwehe, Waldeinfahrt an der L25
21.09. Wälder bei Beverungen Beverungen, Abzweig an der L838 zwischen Jakobsberg und Haarbrücke
26.10. Wolbecker Tiergarten Münster-Wolbeck,Parklplatz an der K3, Wolbeck, Richtung Alverskirchen
09.11. Nationalpark Eifel Heimbach, Parkplatz Kermeter

Mehr Infos unter:
http://www.wald-und-holz.nrw.de/fileadmin/media/Dokumente/Waldschutz/wildniswanderung-2014.pdf

INTERVIEW

Unterwegs im Rothaargebirge. Das Ziel: eines von rund vierzig Jugendwaldheimen in Deutschland. Es stürmt, ein Regenschauer jagt den nächsten, rauer Ostwind weht. Links und rechts Wald, schmale Straßen, der nächste Ort ein paar Kilometer entfernt. Dann endlich liegt es vor mir und meiner neunjährigen Begleiterin, das Jugendwaldheim Gillerberg! Weiß getüncht, idyllisch, still. Von Kindern keine Spur. Kein Wunder, denn heute ist Sonntag. Die letzte Schulklasse ist Freitag abgereist, die nächste kommt am Montag. Ideal also für ein Interview mit dem Chef des Hauses, denn so ruhig ist es hier selten. Hubertus Melcher erwartet uns schon und lädt uns ein in sein Haus, das durch einen langen Flur direkt verbunden ist mit dem Jugendwaldheim. Hier auf dem Rothaarkamm in 605 Meter Höhe lebt der Förster zusammen mit seiner Familie und Hund Bella – und leitet seit 25 Jahren das Jugendwaldheim Gillerberg. Wochentags tummeln sich hier unter seinem Regiment bis zu vierzig Schülerinnen und Schüler. Die Schlafzimmer heißen Schwalbennest und Dachsbau, der Speiseraum Futterstelle, draußen locken Baumhaus und Insektenhotel zum Klettern und Beobachten und in der Eingangshalle begrüßt uns ein Schwein aus Holz. Wir fühlen uns auf Anhieb wohl und folgen dem Förster in die gemütliche Küche. Nach einem Glas Saft hat meine Begleiterin den Schock verdaut, heute das einzige Kind im Haus zu sein, und inspiziert heimlich die beiden Fuchsfelle, die im Flur über dem Treppengeländer hängen. Das Kind ist ein Stadtkind und grübelt die nächste Stunde nach über die Frage, wo der Rest des Fuchses jetzt wohl ist. Zeit genug also für ein Gespräch mit Hubertus Melcher über die Sonnen- und die Schattenseiten auf dem Gillerberg.

Sankt Hubertus, der Schutzpatron der Jäger! Wurde Ihnen Ihr Berufswunsch quasi in die Wiege gelegt, Hubertus?

Ich wollte tatsächlich schon als Kind Förster werden, aber es ist nicht so, wie man meinen könnte, dass ich aus einer Familie stamme, in der alle in vierter Generation Förster sind – und Oma, Opa, allesamt Jäger waren! Ich bin auch nicht mitten im Wald aufgewachsen, sondern am Waldrand in einer Kleinstadt im Sauerland. Aber natürlich war ich viel draußen – und meine Lieblingsbücher hatten Titel wie „Frühling im Försterhaus“, „Sommer im Försterhaus“ oder „Im tiefen Forst“. (schmunzelt) So etwas prägt natürlich.

Wohin geht der Blick des Försters an einem unbeständigen Tag wie heute – zum Himmel oder zum Regenradar auf dem Handy?

(grinst) Ich habe gar keinen Regenradar, ich gucke tatsächlich nach oben, um die Wetterlage einzuschätzen. Und ich verfolge den Wetterbericht im Fernsehen. Bei Gewitterwarnung zum Beispiel gehe ich mit den Kindern gar nicht erst weit in den Wald hinein, sondern bleibe am Haus.

Und wenn es von morgens bis abends regnet – wie halten Sie Schüler und Lehrer bei Laune?

Wir sind keine Schönwetter-Einrichtung! Wir gehen raus, auch wenn es regnet oder kalt ist.  Im besten Fall  haben die Lehrer die Klassenfahrt gut vorbereitet, so dass die Kinder für eine Woche genug warme Regensachen und festes Schuhwerk dabei haben. Aber natürlich unterstützen wir, wo wir können, und haben für den Notfall im Keller eine Sammlung Gummistiefel in allen Größen. Eins ist  klar: wenn die Kinder frieren, ist alles Schiete, dann kann man noch so ein tolles Programm machen.

Was ist das Besondere an einem Jugendwaldheim?

Na ja, erst einmal sind wir hier mitten im Wald. Schon gleich nach der Ankunft am ersten Tag heißt es: Tür auf, rein in den Wald. In der Regel bleiben die Schulklassen für mindestens vier Übernachtungen und sind mit uns dreieinhalb Tage im Wald unterwegs. Dadurch ist eine andere Auseinandersetzung mit dem Wald möglich, als in Umweltbildungseinrichtungen, die die Kinder nur für zwei, drei Stunden bei sich haben. In einer Woche addieren sich viele Erlebnisse – Streifzüge, praktische Waldeinsätze, Lagerfeuer, Nachtwanderungen und schließlich das freie Spielen im Wald direkt hinterm Haus, was uns auch sehr wichtig ist.

Jugendwaldheime in Deutschland – Außerschulischer Lernort mit Tradition

Das erste Jugendwaldheim wurde  1949 im Harz in Niedersachsen gegründet. Hintergrund war, dass die im 2. Weltkrieg durch Kahlschläge und Reparationshiebe zerstörten und stark dezimierten Waldflächen aufgeforstet werden mussten. Anfangs holte man dazu auf Initiative der frisch gegründeten Schutzgemeinschaft Deutscher Wald Jugendgruppen und Schulklassen zu Einsätzen in den Wald. Nach und nach entstanden dann aus den anfänglichen Zeltlagern erste Jugendwaldheime, die sich im Laufe der Zeit zu modernen Umweltbildungseinrichtungen entwickelt haben. Hier lernen Kinder und Jugendliche über mehrere Tage den Lebensraum Wald kennen, helfen bei der Waldpflege und erfahren viel über Wald- und Forstwirtschaft. Bundesweit gibt es rund 40 Jugendwaldheime, die allesamt von Förstern mit pädagogischer Erfahrung geleitet werden; die Konzepte der einzelnen Häuser unterscheiden sich allerdings von Bundesland zu Bundesland, was das Alter der Kinder, Schwerpunkte, Dauer der Aufenthalte und Trägerschaft betrifft.


Was bedeutet „praktischer Waldeinsatz“?

Im Jugendwaldheim verrichten die Klassen an der Seite von Forstwirten richtige Waldarbeit! Die Schüler bekommen eine Bügelsäge in die Hand, dürfen selbst sägen, Bäume pflanzen, bei Entbuschungsmaßnahmen handanlegen. Sie helfen mit, je nachdem was in der jeweiligen Jahreszeit zu tun ist. Die Kinder finden es irre, dass wir ihnen so etwas zutrauen! Den zweiten Schwerpunkt im Jugendwaldheim bilden die Streifzüge, bei denen wir abseits geschotterter Wege im Wald unterwegs sind! Hier geht es um Motorik, ums Beobachten und Erforschen, darum, den Wald mit allen Sinnen zu erleben. Waldsauerklee schmecken, über einen Baumstamm balancieren und vieles andere. Auf den Streifzügen vermitteln wir sehr viele Dinge, die von rein kognitiven Erklärungen weggehen. Wir wollen, dass die Kinder am Ende der Woche viel über den Wald erfahren haben, aber nicht in dem Sinne von: Hier ist ne Liste – das müsst ihr hinterher alles können und wissen! So nicht.

Streifzüge durch die Natur kontra Medienkonsum – wie schwer ist es für Sie, die Kinder von heute für den Wald zu begeistern?

Das gibt es natürlich: Kinder, die gedanklich nur bei dem neuen Computerspiel zuhause sind oder sich mit irgendwelchen Fernsehserien beschäftigen. Für meine Mitarbeiter und mich ist es nicht leicht, diese Schüler ins Boot zu holen und durch spannende Dinge draußen davon wegzulocken. Bei manchen gelingt es, bei anderen nicht. Es gibt Streifzüge, da unterhalten sich die Kinder zehn Minuten über Harry Potter und kriegen nicht mit, was vor ihrer Nase passiert. Andere Kinder wiederum sind so weit weg vom Naturraum Wald, dass sie schon das Sich-Schmutzig-Machen schrecklich finden. Aber meistens ist es umgekehrt, sie kommen am ersten Tag gestylt und geschminkt an – und am zweiten Tag sind sie saudreckig von der Waldarbeit, ohne dass es ihnen noch was ausmachen würde. Das ist natürlich klasse, wenn wir merken, dass wir diese Kinder erreicht haben.

Der  Tagesablauf im Jugendwaldheim ist straff organisiert..

Wir merken immer wieder, dass die Kinder  feste Strukturen brauchen. Nach dem Frühstück um halb acht oder acht – die Jüngeren lassen wir etwas länger schlafen –  treffen wir uns für eine halbe Stunde in unserem Seminarraum, dem „Ansitz“, um einen kurzen inhaltlichen Input zum Thema des Tages (Waldfunktion, Lebensgemeinschaften im Wald, Baumbiologische Themen, Wachstum der Wälder, u.a.) zu geben – und dann geht es raus. Die Schulklassen werden aufgeteilt. Eine Gruppe macht für zwei, zweieinhalb Stunden einen Streifzug. Die andere Gruppe geht zum praktischen Waldeinsatz. Nach Mittagessen und Mittagsruhe werden die Gruppen getauscht und es geht wieder raus in den Wald bis um ca. 16 Uhr. Danach ist freie Zeit bis zum Abendessen.

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Haben die Schüler danach noch Energie oder fallen sie gleich nach dem Abendessen ins Bett, pardon, in den Adlerhorst oder Eichhörnchenkobel?!

Die Kinder sind noch fit! Nach dem Abendbrot ist Programm durch die Lehrer angesagt. Es ist jahreszeiten- und witterungsabhängig, ob sie noch draußen was machen oder Gruppenspiele im Haus. Ein Toperlebnis für ganz viele Kinder ist ein Lagerfeuerabend mit Stockbrot. Mitten im Wald, ein paar hundert Meter vom Haus entfernt, gibt es eine alte Köhlerhütte. Dort im Dunkeln ein Feuer zu machen, um sie herum nur Bäume, das sind so richtige Highlights.

.. und bleibende Erinnerungen für die Kinder!

Das ist das Schöne. Durch die unterschiedlichen Erfahrungsmöglichkeiten hier im Jugendwaldheimbetrieb haben die Kinder je nach ihren Eigenarten die Möglichkeit, „ihr Ding“ zu finden. Die einen erinnern sich hinterher besonders gern an das freie Spielen im Wald oder daran, dass sie beim Streifzug in ein Schlammloch gefallen oder barfuß durch den Waldbach getapert sind. Andere denken daran, dass sie auf dem Gillerbergturm (Aussichtsturm ganz in der Nähe) standen und ihre Höhenangst überwunden haben. Wieder andere finden die Schleichpfade durch den Wald total irre, weil sie sich da wie im Dschungel fühlen. Es muss kein lang ausgewiesenes Wildnis- oder Naturschutzgebiet sein – für die Kinder ist schon der normale, der bewirtschaftete Wald absolute Wildnis, weil sie das von zu Hause nicht kennen.

Thema Nachhaltigkeit – inwieweit ist das im Jugendwaldheim Gillerberg mehr als nur ein Begriff?

Durch den Praxisbezug und die lange Aufenthaltsdauer ist die Chance, dass sich Nachhaltigkeit bei den Klassen verinnerlicht, besonders hoch! Ein Beispiel: Am Morgen im „Ansitz“ sprechen wir z.B. darüber, wie der Wald genutzt wird. Die Kinder fällen Bäumchen zur Pflege des Waldes, sägen selber Brennholz, gehen damit zur Köhlerhütte, machen Lagerfeuer, grillen darauf und merken: Ja, wir haben es jetzt warm und können die Würstchen grillen, weil wir die Energie dazu aus dem Wald hergeholt haben. Das erleben viele Kinder heutzutage sonst überhaupt nicht mehr. Ein anderes Beispiel: Wir haben im Jugendwaldheim eine Holzhackschnitzelheizung. Damit lässt sich unnötiger Energieverbrauch thematisieren. Die Kinder werden von mir drauf hingewiesen, dass die Fenster aufstanden bei voll aufgedrehter Heizung. Oder dass die Duschparty über ne halbe Stunde gedauert hat. Und dann stehen sie vor dem Hackschnitzellager und sehen, wie das leerer und leerer wird und merken auf einmal: Ja, wenn wir nicht vernünftig mit Energie umgehen, müssen im Wald „unnötig“ viele Bäume gefällt werden.

Welches Ziel stecken Sie sich bei jeder Klasse?

Wir als Einrichtung des Landesbetriebes Wald und Holz NRW wollen Verständnis für Wald und Natur wecken. Mir persönlich ist es wichtig, dass die Kinder bei uns ein kleines Stück zu Waldfreunden werden und positive Erlebnisse aus dem Wald mitnehmen! Und natürlich sollen sie sich im Jugendwaldheim  heimisch fühlen. Die Kinder müssen merken: Hier darf ich mich wohlfühlen, hier kann ich auch mal toben. Aber ich habe auch die Verantwortung fürs Haus und muss dafür sorgen, dass es in Ordnung bleibt. Wir sind hier ja kein Waldhotel! Die Schüler sind fest in die Aufgaben im Haus eingebunden und übernehmen z.B. „Revierdienste“, d.h. sie fegen nicht nur regelmäßig ihre Zimmer, sondern auch die Flure und Gemeinschafträume, helfen beim Tischdienst und in der Küche.

Wieso arbeiten? – Boah, Klassenfahrt! Übernachten, Spaßhaben!

Das freie Spielen am Nachmittag im Wald, am Waldrand oder auf dem Bolzplatz steht bei einer Fahrt ins Jugendwaldheim natürlich ganz weit oben auf der Hitliste. Dass aber auch die Arbeit im Wald Spaß machen kann, erleben die Schüler jeden Tag – im Team und Seite an Seite mit den Forstwirten. Was dort zu tun ist, hängt von der Jahreszeit und den forstbetrieblichen Gegebenheiten ab. Außerhalb der Vegetationszeit (Spätherbst bis zeitiges Frühjahr) ist die Zeit der Pflanzungen. Im Sommer werden z.B. von Borkenkäfern befallene Bäume entrindet. Im Herbst können Baumsamen für die Baumschule gesammelt werden. Das ganze Jahr über werden Waldbestände, Waldränder und Biotope gepflegt, Waldwege freigeschnitten, Brennholz gesägt sowie Holzarbeiten im Werkraum durchgeführt.

Welche Schulklassen bzw. Schulen buchen eine Klassenfahrt ins Jugendwaldheim?

Wir haben alle Schultypen ab der vierten Klasse zu Gast. Am häufigsten buchen uns Grundschulen, aber auch die Sekundarstufe 1 mit Haupt-, Real- und Gesamtschulen, Gymnasien, Förderschulen oder Waldorfschulen. Gymnasien sind allerdings selten dabei – und die Buchungen der Hauptschulen gehen zurück, einfach es von diesem Schultyp immer weniger gibt. Dabei ist für Hauptschüler der Aufenthalt hier von besonderem Wert wegen des praktischen Bezugs. Gerade Kinder, die im typischen Schulalltag untergehen, weil sie in ihren kognitiven Fähigkeiten nicht so leistungsstark sind, merken hier: Mensch ich kann was, ich schaff das! Umgekehrt wäre es aber auch für einen Biologie-Leistungskursler eine wichtige Erfahrung, mal im Gelände unterwegs zu sein und einen Baum zu sägen – aber Fahrten in der gymnasialen Oberstufe gehen nach Rom oder New York und nicht ins Jugendwaldheim…

Aus welchen Gegenden kommen die Schulen?

Wir haben um die 80 Prozent  Ballungsraumklassen. Jugendwaldheime für naturferne Städter – das war viele Jahre die Vorgabe, denn es hieß, die Klassen im ländlichen Raum hätten ja die Möglichkeit rauszukommen. Aber eins muss man deutlich sagen, unsere Gesellschaft hat sich verändert. Es gibt inzwischen viele Kinder in Dörfern oder kleinen Städten, die sich genauso in den digitalen Welten aufhalten wie sogenannte Großstadtkids und die nicht mehr raus gelassen werden von ihren Eltern aus irgendwelchen Ängsten heraus. Die spielen nie im Wald, obwohl sie ihn um die Ecke haben – und deshalb würde ich sagen:  Jedem Schüler, jeder Klasse würde ein Aufenthalt im Jugendwaldheim gut tun, nicht nur den Großstadtklassen.

Das Jugendwaldheim Gillerberg

wurde 1962 erbaut. Es ist eine Einrichtung des Landesbetriebes Wald und Holz NRW und gehört zum Forstamt Siegen-Wittgenstein. Die enge Einbindung des Jugendwaldheims in die Gesamtorganisation der Forstverwaltung ermöglicht überhaupt erst den Zugriff auf die umliegenden Waldflächen und erleichtert Absprachen mit dem Revierförster, was forstliche Belange und die praktischen Waldeinsätze angeht. Der Landesbetrieb Wald und Holz NRW betreibt übrigens insgesamt fünf Jugendwaldheime. Mit seiner Vielzahl von Einrichtungen und speziellen Tagesangeboten der Forstämter ist er der größte Umweltbildner in NRW.

Wie weit im Voraus sind Sie ausgebucht?

Die Klassen sollten sich so früh wie möglich anmelden, für 2015 habe ich z.B. nur noch zwei Wochen im Februar frei und für 2017 gibt es schon die ersten Reservierungen. In den sogenannten „Fahrten-Monaten“ Mai und September wollen natürlich immer alle am liebsten kommen. Es gibt aber zwölf Monate im Jahr, nicht nur zwei! Und: Wir können den Wald zu jeder Jahreszeit erleben, können auch bei Schnee praktische Waldeinsätze machen, Brennholz sägen – und natürlich ne Runde Schlittenfahren, immerhin sind wir hier auf 600 Meter Höhe! Übrigens stellen wir fest, dass vermehrt Schulen anfragen, ob sie auch für nur zwei Übernachtungen kommen können. Das passt zwar zu unserer schnelllebigen Zeit, aber das machen wir nicht. Vom Grundsatz her sind uns die mindestens einwöchigen Lehrgänge superwichtig, weil erst dann die Kinder richtig in den Wald eintauchen können.

Ist das Jugendwaldheim an den Wochenenden immer so leer wie heute?

Nein. Das Jugendwaldheim Gillerberg wird zu Zweidrittel genutzt als Jugendwaldheim der Forstverwaltung und zu einem Drittel vom Kreis Siegen-Wittgenstein, der das Haus am Wochenende und in den Ferienzeiten für Belegungsgruppen aller Art ab 20 Personen nutzt: Vereine, Wandergruppen, Familien. Damit haben wir eine recht hohe Auslastung, im Jahresschnitt sind wir an 280 Tagen belegt!

Waren Sie selbst früher auch mal auf Klassenfahrt in einem Jugendwaldheim?

Leider nein, aber ich habe als 19-jähriger junger Mann hier im Jugendwaldheim Gillerberg meinen Zivildienst gemacht und danach Forstwirtschaft studiert. Schon während des Studiums habe ich davon geträumt, eines Tages auf den Gillerberg zurück zu kehren. Gerade als ich meine Ausbildung gerade beendet hatte, wurde hier die Stelle als Leiter ausgeschrieben – es sollte also so sein, kann man vielleicht sagen… Auf jeden Fall habe ich meine Nische gefunden! Es ist für mich eine besonders schöne Aufgabe, Begleiter von Kindern zu sein, sie an die Natur heranführen zu dürfen, meine pädagogische Ader zum Einsatz zu bringen – und das alles mit dem forstlichen Hintergrund zu verbinden. Wenn Freitagvormittag die Kinder mit leuchtenden Augen vor mir stehen und ich merke, das ist nicht aufgesetzt, sondern ehrlich, wenn sie sagen: „Ich möchte gerne noch viel länger hier bleiben!“ – dann ist das etwas ganz Wertvolles.

Hubertus, im November feiern Sie Jubiläum, dann leiten Sie das Jugendwaldheim Gillerberg seit 25 Jahren – und das mit spürbar viel Liebe und Respekt für Mensch und Natur. Woher holen Sie sich immer wieder neuen Input?

Die Gefahr, im eigenen Saft zu schmoren, ist zweifelsohne da. Umso wichtiger ist der Austausch. Alle zwei Jahre findet zum Beispiel eine Bundestagung der Jugendwaldheime statt. Darüber hinaus treffen wir uns mit sämtlichen NRW-Jugendwaldheim-Kollegen (das Küchenpersonal genauso wie die Leitung) einmal im Jahr zu einem mehrtägigen Workshop. 2012 habe ich außerdem an einem bundesweit anerkannten Zertifikatslehrgang des Landesbetriebs Wald und Holz NRW teilgenommen und als  Zertifizierter Waldpädagoge abgeschlossen. Und ich bin Mitglied in der Steuerungsgruppe des Waldpädgaogisches Forum – das ist ein lockererer Zusammenschluss von in der Waldpädagogik Tätigen in NRW mit dem Auftrag, Fortbildungen zu organisieren. All das bereichert meine Arbeit, denn ich bekomme neue Anregungen und Zugänge, um manche Dinge einmal anders anzugehen!

 

Kontakt:
Jugendwaldheim Gillerberg, Hof Ginsberg 3, 57271 Hilchenbach
Mail: jugendwaldheim-gillerberg@wald-und-holz.nrw.de
www.wald-und-holz.nrw.de/walderleben/lernen-und-erleben/jugendwaldheime/jugendwaldheim-gillerberg.html

Team: Zwei Förster, zwei Forstwirte, das Küchen- bzw. Hausreinigungsteam, ein Bundesfreiwilligendienstler

Umgebung: Das Jugendwaldheim Gillerberg steht auf dem Rothaarkamm, genau auf der Rhein-Weser-Wasserscheide auf 605 Meter Höhe; es herrscht sehr raues Klima. Der Kreis Siegen-Wittgenstein ist der dichtbewaldetste Kreis in ganz Deutschland. Direkt vor der Haustür befindet sich ein neu ausgewiesenes Wildnisgebiet mit 170-jährigen Buchen, großflächige Buchenwälder und Fichtenbestand; der Rothaarsteig verläuft hier.

Kosten: Der Kostensatz für eine Übernachtung im Jugendwaldheim Gillerberg liegt zur Zeit bei 15 Euro, ab 2015: 17,50 Euro. Über die aktuelle Belegungssituation informiert ein Jahreskalender auf der Website.